Ida 1872
In den meisten Ländern Europas wurde der Handarbeitsunterricht zum Ende des 19. Jahrhunderts vereinheitlicht. Die Stickmustertücher dienten jetzt der hauptsächlichen Vermittlung von verschiedenen Arbeitstechniken. Kreuzstichmustertücher in Türkischrot, die fast immer mit verschiedenen Alphabet- und Zahlenreihen beginnen, überwiegen. Das Vorkommen einer Vielzahl dieser Reihen weist auf eine staatliche oder konfessionelle Schule hin, die sich um die Bildung der Armen bemüht. Europaweit ist zu beobachten, dass die Stickerin ihren Namen, die Jahreszahl, den Ort, die Schule und die Lehrerin „notiert“. Dabei tritt absolut keine Konformität auf. Jedes Mustertuch wurde ein sehr individuelles Werk der Stickerin und unterschied sich von dem der Mitschülerin!
Sechs Alphabete und drei Zahlenreihen in Kreuzstichen zieren Idas Stickmustertuch aus dem Handarbeitsunterricht aus dem Jahr 1872. Neun veschiedene Borten bilden dabei "Zeile für Zeile". Sehr ruhig aufgebaut ist Idas Tuch auch im unteren Drittel: Sie bildete eine Mitte mit dem sächsischen Wappen und verteilte gleichgewichtig die beiden stilisierten Blumen (Rose und Wicke), Kronen, kleine Gebäudeensembles, Ranke und Flechtwerk. Dabei griff sie auf sehr viele Motive aus einer häufig benutzten Stickvorlage aus dem Berliner Verlag Heinrich zurück.
Ob Ida später auch wie Luise eine Weißstickerei oder sogar ein Spitzenmustertuch anfertigte, können wir nur vermuten.
Die schönsten deutschen Weißstickerei-Mustertücher kommen aus Sachsen, nach einer mehr als hundert Jahre andauernden Tradition der berühmten Dresdner Spitze. So berichtet die Encyclopédie von Diderot und d'Alembert 1751: "Die am höchsten geschätzte Musselinstickerei ist die aus Sachsen, aber man macht genauso schöne auch anderswo, besonders in Frankreich; der Ruhm der sächsischen Arbeiterinnen ist jedoch unbestritten."
Kreuze: 226 x 212
Größe: 39,5 x 34 cm
Stiche: Kreuzstich