Berlin Woolwork
ohne Namen, ohne Datum: Vergissmeinnicht
Für so ein Mustertuch musste man einen enormen Aufwand betreiben: Schöne Motive wollten gesucht und gefunden, mussten ausgewählt, ziemlich teuer eingekauft, gedanklich platziert werden. Erst dann konnte man mit dem Sticken beginnen.
Viele der mehr als 30 Motive fand die Stickerin unter dem damaligen riesigen Angebot von handgetupften Vorlagen verschiedener Verlage in Europa – entstanden in Berlin, weltweit später bekannt unter dem Begriff „Berlin Woolwork“. In klitzekleine Kästchen wurden mit feinsten Pinseln die entsprechenden Farbschattierungen hinein getupft.
An den Beginn und das Ende setzte die Stickerin jeweils eine Vergissmeinnicht-Borte – sehr aussagekräftig. Deshalb habe ich dieses Mustertuch ohne Namen, ohne Datum „Vergissmeinnicht“ genannt.
Die Stickerin bildete eine Längsachse mit sehr großen, aufwendigen und ungewöhnlichen Motiven. Am auffälligsten sind Glaube-Liebe-Hoffnung und der wunderschöne Kranz mit exotischen Vögeln. Blümchen überall, in Sträußchen, in Füllhörnern, in Kränzen und Gebinden, in Borten und Bordüren.
Diese Motive kamen also in die engere Auswahl. Aus welch einem Sammelschatz fand gerade diese Wahl wohl statt und warum? Von nur zwei Motiven sind mir die Künstler bzw. Firmen bekannt: Von Conrad Riedel (1788-1859) aus Nürnberg ist das Glaube-Liebe-Hoffnung-Motiv und von Franz Barth aus Wien stammt das bekrönte Kränzchen.
Die vier aus der Antike über das Mittelalter heute noch bekannten Tugenden Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung werden ergänzt durch die christlichen Tugenden: Glaube, Liebe und Hoffnung. Ihre Symbole sind
- Kreuz, Kelch, Hostie = Glaube,
- Herz, Frau mit Kind = Liebe,
- Anker, Vogel, Zweig = Hoffnung.
In ganz Europa waren sie beliebte Stickmotive bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
Sämtliche großen Motive sind sehr aufwendig gestaltet, zeigen Plastizität und in den wunderschönen Farbschattierungen kommen sie der Realität ziemlich nahe. Sehr beliebt beim Bürgertum der damaligen Zeit waren exotische Vögel. Man hielt sie in kleinen Käfigen oder großen Volieren im Haus, man stickte sie auf Klingelzüge, Taschen, Kissen, …, denn es gab eine Vielzahl von Motiven im Angebot der Verleger.
Das Original ist lange bei mir „zu Besuch“ gewesen. Ich liebte es auf den ersten Blick, aber ich hatte auch großen Respekt vor dem Auszählen. Ich danke meiner Freundin Margit sehr für ihre Geduld mit mir. Immer wieder machte sie mir Mut.
Dass ich die Originalstickvorlage von Glaube-Liebe-Hoffnung hier zeigen kann, verdanke ich Frau Lorraine Mootz aus Celle. Ein herzliches Dankeschön!
Kreuze: 203 x 660
Größe: 28,5 x 93 cm
Stiche: Kreuzstich